4. Adventwoche
4. Adventwoche

Weihnachts- und andere Engerl

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Meine Mutter legte sehr viel Wert auf meine Ausbildung und ermöglichte mir Sprachkurse und Musikunterricht. Während ich einigermaßen sprachbegabt war, verliefen die Klavierstunden eher unbefriedigend. Bereits nach kurzer Zeit riet die Klavierlehrerin meiner Mutter, sich das Geld für den Unterricht zu sparen. Sie meinte, dass ich zum Erlernen eines Instruments völlig unbegabt wäre.
Ich war ganz froh, dass die Klimperei ein Ende hatte, nur meine Mutter war etwas enttäuscht. Gedichte erlernte ich wesentlich leichter, und deshalb durfte ich bei der Weihnachtsfeier im Kindergarten als Engerl auftreten und ein langes Gedicht vortragen. Ich trug ein weißes Kleid, große Engelsflügel sowie einen Haarreifen mit glitzernden Steinchen und kam mir wunderhübsch vor. Und das schönste war, dass mich die Mutter lobte und sehr stolz auf mich war.

Hertha Müllauer

Ich konnte als Kind auch sehr gut Gedichte aufsagen, aber eine Karriere als Engerl blieb mir versagt. Dafür war ich zu sehr vielen Hochzeiten eingeladen, um dort dem Brautpaar ein Gedicht aufzusagen. Meine Eltern und ich wohnten in Kirchberg an der Wild, und ich fuhr oft mit der Franz-Josefs-Bahn nach Irnfritz (bei Horn), wo mich meine Tante abholte und mich zu einer der zahlreichen Hochzeitsfeiern in ihrem großen Bekanntenkreis begleitete. Eine Begebenheit ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Als ich aus dem Zug ausstieg, stand an diesem Tag nicht die Tante, sondern ihr Mann am Bahnhof, um mich mit einer einachsigen Kutsche abzuholen. Die Hochzeit war in einer anderen Ortschaft und der Weg zu weit zum Gehen. Onkel und ich stiegen in die Kutsche, und das vorgespannte Pferd zog das Wagerl. Gerade als ich begann, die Fahrt so richtig zu genießen, fuhr ein Zug auf der danebenliegenden Bahntrasse mit einem lauten Pfiff vorbei. Das Pferd erschrak, machte einen großen Sprung vorwärts, die Kutsche kippte um, und der Onkel und ich landeten im Straßengraben.
Als wir uns wieder aufgerappelt hatten, betrachtete mich der Onkel eine Weile und meinte dann: „So dreckig können wir nicht zu der Hochzeit gehen, wir fahren zur Tante, vielleicht hat sie etwas anderes zum Anziehen für dich!“ Die Tante hatte eine saubere Strumpfhose für mich und über das notdürftig ausgebürstete weiße Kleid zog sie mir eine Weste an. Bei dieser Hochzeit war ich zwar nicht so engelsgleich wie üblich anzusehen, aber das Brautpaar und die Gäste freuten sich trotzdem über mein Gedicht. In das einachsige Wagerl bin ich übrigens danach nie wieder eingestiegen.

Elfriede Braunsteiner

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