Unter den Papieren meiner Mutter, die vor mehr als dreißig Jahren verstorben ist, fand ich unter anderem auch einen Brief, in dem sie über eine Begebenheit in ihrer Kindheit berichtete:
Vater sagte immer, dass eigentlich ich sein Bub wäre, da mein um zwei Jahre jüngerer Bruder meist heulend nach Hause kam. Zu Hause fühlte er sich stark und als Mann, ich aber war die Ältere und wollte mir von ihm nichts gefallen lassen. Wir Geschwister hatten daher oft Krach miteinander.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass ich ausgerechnet am Heiligen Abend von meinem Vater eine Ohrfeige bekam, weil ich zu meinem Bruder sagte: „Geh, du bist ja blöd!“ Vater meinte: „Erstens ist dein Bruder nicht blöd, und zweitens, wenn er es wirklich wäre, dann dürftest du es erst recht nicht sagen, denn dann wäre er sowieso arm genug. In dem Fall müsstest du dich besonders um ihn kümmern.“
Der Weihnachtsabend war für mich natürlich verdorben, aber als ich länger darüber nachdachte, fand ich, dass Vater Recht hatte. Ich begann mich also darum zu kümmern, warum mein Bruder immer heulend heimkam. Im Park droschen alle Buben auf ihn ein, bis ich, die große Schwester, dann eingriff und als rächender Engel erschien. Wenn ich mutig die Arena (sprich den Laubepark) betrat, ergriffen bei meinem Erscheinen alle Feinde die Flucht. In späteren Jahren musste ich oft darüber lachen, denn wenn sich alle Buben auf mich gestürzt hätten, wäre ich als Hackfleisch liegengeblieben.
Die „Watschen“ am Heiligen Abend habe ich nie vergessen. Mehr noch als das schlagende Argument haben mich die Worte meines Vaters geprägt, und im Laufe meines Lebens habe ich mich immer wieder für Arme, Benachteiligte oder ungerecht Behandelte eingesetzt.
Ich denke, sich für andere einzusetzen, Armen oder Schwächeren zu helfen, ist auch für eine Pfarrgemeinde eine schöne Aufgabe.
Ein St. Martiner
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