4. Adventwoche
4. Adventwoche

Das Bumerang-Gedicht

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Im Herbst 2017 besuchte ich gemeinsam mit meiner Schwiegermutter und elf anderen Teilnehmerinnen den vom Verein Hospiz St. Martin angebotenen Grundkurs für Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung. Als Weihnachtsgabe bekamen wir ein sehr berührendes Gedicht mit dem Titel „Strickwerk Lebenswerk“.
Weil mir das Gedicht so gut gefiel, schrieb ich es ab, um es bei der Senioren-Adventfeier der Pfadfindergilde Klosterneuburg vorzutragen. Wir waren alle eingeladen, einen Beitrag bei dieser Feier zu leisten. Ich las das Gedicht vor, und viele Anwesende erkannten sich in den Zeilen wieder. Eine Dame fragte mich, ob ich ihr den Zettel mit dem Gedicht überlassen würde, was ich ohne zu zögern machte.
Im Binderstadl findet seit Jahrzehnten der von der Stiftspfarre Klosterneuburg veranstaltete Adventmarkt statt, dessen Reinerlös zur Gänze karitativen Zwecken zu Gute kommt: Behindertenhilfe St. Martin, MOMO – mobiles Kinderhospiz für schwerstkranke Kinder und Concordia – Hilfe für rumänische Straßenkinder). An einem der Stände werden Handarbeiten der Stiftssenioren verkauft. Meine Tante Rosi ist bei dieser Gruppe dabei und bat meine Schwester und mich sowie unsere Mutter, das Warenangebot mit Genähtem, Gestricktem oder Gehäkeltem zu vergrößern, was wir gern taten. Dafür ernannte sie uns sogar feierlich zu Ehrenseniorinnen und Ehren-Mitgliedern der Nähstube.
Am Heiligen Abend war meine Familie bei uns zu Besuch, und Tante Rosi sagte, dass sie gern ein Gedicht vorlesen würde. Sie las das Gedicht „Strickwerk Lebenswerk“ vor, und ich staunte nicht schlecht, als ich den von mir angefertigten Computerausdruck wiedererkannte. „Tante Rosi‘“, fragte ich, „woher hast du denn dieses Gedicht?“ – „Es wurde im Advent bei den Stiftssenioren von einer Dame vorgelesen, die meinte, dass es für uns wegen der Handarbeiten, die wir für den Adventmarkt herstellen, so passend ist. Und ich habe mir gedacht, weil ihr ja bei dieser Feier nicht dabei wart, aber auch einiges für den Weihnachtsmarkt beigetragen habt, bringe ich euch das Gedicht zu Weihnachten mit.“
So geschah es, dass dieses Gedicht wie ein Bumerang zu mir zurückgekommen ist. Vielleicht funktioniert dieses Prinzip ja nicht nur mit Gedichten …
Und so lautet es:

Strickwerk Lebenswerk
Wir alle stricken unser Leben, jeden Tag ein Stück weiter.
Die einen stricken liebevoll und sorgsam; man merkt,
welche Freude es bereitet, ihr „Lebenswerk“ zu gestalten

Die anderen stricken mühevoll und ungern. Man merkt,
welche Kraft und Arbeit es sie kostet, ihren Lebensfaden
jeden Tag neu aufzunehmen.

Manche wählen ein kompliziertes Muster, andere ein ganz
schlichtes. Bei dem einen ist es ein ganz buntes
Maschenwerk, bei dem anderen ein Stück in tristen Farben.

Nicht immer können wir die Farben selber wählen, und auch
die Qualität der Wolle wechselt – mal weiß und flauschig weich,
mal grau und kratzig.

Und öfter lässt man eine Masche fallen oder sie fallen
ohne unser Zutun, und zurück bleiben Löcher und ein
Unvollständiges Muster. Manchmal reißt der Faden,
und es hilft nur ein Knoten.

Wenn wir unser Leben betrachten, wissen wir genau,
welche Stellen das sind. Und oft geschieht es, dass einer
sein Strickzeug in die Ecke wirft.

Es bleibt uns verborgen, wie viel Lebensfaden wir noch
haben. Aber wir haben die Nadeln in der Hand, können
das Muster wechseln, die Technik und das Werkzeug.
Nur auftrennen können wir nichts,
auch nicht ein kleines winziges Stück.

Aber wie es auch geworden sein mag, das Strickwerk
unseres Lebens, in Gottes Augen ist es einmalig und
kostbar. Unter seinem liebevollen Blick lösen sich Knoten
und Verdrehungen, wird Fehlendes ergänzt, verwandeln
sich Laufmaschen in Muster.

Mit sicherer Hand fügt er unser Strickzeug ein ins
Ganze seines großen, wunderbaren
Schöpfungsmusters.

Barbara Rolinek

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