In der Hauptschule Sechshauser Straße durften die dritten Klassen auf Schullandwochen fahren. Unsere Klassenlehrerin erreichte, dass wir bereits in der 2. Klasse nach St. Anton an der Jessnitz fahren und vier Wochen auf Schloss Lehenhof verbringen konnten. Nachdem diese Aktion damals zum letzten Mal durchgeführt wurde, waren wir Frau Leeb besonders dankbar.
Obwohl St. Anton an der Jessnitz in der russischen Zone lag, bekam jeder von uns Buben im Dezember ein Weihnachtspaket von den Amerikanern. In meinem Packerl waren knöchelhohe braune Schnürschuhe, die nicht drückten. Meine Freude war groß: Neue passende Schuhe waren im Jahr 1951 etwas ganz Besonderes.
Ich genoss die winterliche Zeit auf Schloss Lehenhof sehr. Wir hatten zwar Unterricht, verbrachten aber auch viel Zeit an der frischen Luft. Jeden Nachmittag spielten wir im Schnee. In der Nähe gab es einen vereisten Hang, über den meine Klassenkameraden stehend rutschten. Mir schien es weniger gefährlich, mich sitzend talwärts zu bewegen. Ich konnte ja nicht voraussehen, dass die Qualität einer Schihose für derartige Unternehmungen nicht stabil genug war. Nach einigen Rutschpartien hatte die Hose auf der Rückseite ein Riesenloch.
Einmal beanstandete Frau Leeb meine ungeputzten Schuhe. Ich hatte keinerlei Erfahrung im Schuhputzen, daheim machte das immer meine Mama. Ich schmierte einfach über das mit Schmutz verkrustete Leder eine ganze Dose Schuhpaste. Die Lehrerin war trotz des enormen Materialverbrauchs nicht zufrieden, klopfte die beiden Schuhe zusammen, und Schmutzkruste samt Schuhpaste bröckelten teilweise ab. „Das ist nicht geputzt, mein Lieber, mach das noch einmal, aber ordentlich!“ wurde ich gerügt. Ich war zu faul zum Schuheputzen, aber nicht dumm. Ich nahm mein zweites Paar Schuhe aus dem Koffer und ließ ein bisschen Zeit verstreichen, bevor ich mich wieder zeigte. „Na siehst du, du kannst es ja doch!“ zeigte sich Frau Leeb beeindruckt.
Auf Schloss Lehenhof bekamen wir gute und nahrhafte Mahlzeiten. Angeblich habe ich in diesen vier Wochen so zugenommen, dass mich die Mama nach meiner Rückkehr gar nicht gleich erkannte.
Daheim erwartete mich ein Riesenchristbaum, weil mir die Mama nach der langen Abwesenheit eine besonders große Freude zu Weihnachten machen wollte. Ich hatte auch eine Überraschung für sie, über die sie sich aber nicht sehr freute, und zwar ein Paar total verdreckte Schuhe im Koffer und eine Hose ohne Hosenboden, die auch meine Mama, die Schneiderin war, nicht mehr flicken konnte.
Und ganz unten im Koffer lag die an meine Mama adressierte Ansichtskarte von Schloss Lehenhof. Der Platz für Mitteilungen oder Grüße war leer, da mir nichts Erwähnenswertes eingefallen war.
Alfred Steiner
Diese Seite verwendet Cookies. Nutzen Sie weiterhin unsere Seite, stimmen Sie unserer Cookie-Nutzung und der Datenschtutzerklärung zu.